Naturgarten zum Nachmachen: Das Drachenparadies in Niederdollendorf
Naturgärten sind schön, aber offenbar total aus der Zeit gefallen. Denn wenn ich in Königswinters Neubaugebieten unterwegs bin, dann fällt mir die zunehmende Zahl von Vorgärten auf, die weitgehend bis komplett ohne Grünflächen auskommen. Stattdessen Steine, wohin man schaut. Verständlich ist das schon, zumindest auf den ersten Blick. Denn die Pflege von Blumen und Rasen kostet Zeit, Steingartenanlagen dagegen sind auf Jahre pflegeleicht. Basaltschotterflächen brauchen nicht gemäht zu werden, Gabionen kommen im Gegensatz zu Hecken ohne Rückschnitt aus. So weit, so praktisch. Aber irgendwie auch ein bisschen leblos.
Wenn im Hausgarten die Insekten ausbleiben
Fliegende Insekten sind wichtig. Zumindest dort, wo im Garten hinter dem Haus einen Apfel- oder Pflaumenbaum wächst. Wenn vor dem Haus die Steinwüste auf Ambiente macht, wird das mit der reichen Ernte hinterm Haus nicht viel. Denn Äpfel, Pflaume & Co reifen nur dort, wo ausreichend Insekten zur Bestäubung vorbeikommen. Je nach Größe fliegen Bienen, Hummeln und Schmetterlinge jedoch nur wenige hundert Meter weit, selbst die größten von ihnen erreichen einen Aktionsradius von deutlich unter 2 km. Wenn Hausgärten zugepflastert, geschottert und versiegelt werden, bleibt für die Quartiere der hier natürlich anzutreffenden Insekten kein Platz mehr. Wildbienen, Schmetterlinge und Hummeln werden auch in Königswinter immer seltener zu Hausgästen, der Mensch bekommt die Folgen zu spüren. Blühende Obstbäume sind zwar hübsch, aber was nützt der schönste Baum, wenn er keine Früchte mehr trägt? Zwar können wir als Bürger weder Pestizideinsatz noch Flächenplanung der Landwirtschaft ändern, aber unsere Hausgärten haben wir selbst in der Hand. Aus Insektensicht ist das viel!
Vom langweiligen Rasen zum lebendigen Naturgarten
Es ist nicht schwer, Hausgärten mit ganz einfachen Maßnahmen wieder lebendig zu gestalten. Wie, dass können Königswinterer Bürger ganz einfach im Naturgarten der Drachenfelsschule in Niederdollendorf abschauen.
Ursprünglich stellte eine Rasenfläche die Verbindung zwischen Schulgebäude und Straße her. 2010 entstand die Idee, diese Rasenfläche durch einen Naturgarten zu ersetzen.
Am Anfang standen Gestaltungsideen der Schüler selbst. Daraus entwickelte eine Biologin ein naturnahes Gesamtkonzept. Die Umsetzung mit Bruchsteinmauern, Holzbrücke, Teich und Gemüsegarten wurde durch großzügige Spender ermöglicht. Damit das Drachenparadies im Juni 2012 eingeweiht werden konnte, packten die Schüler selbst mit an. Das notwendige Know-How steuerten fachkundige ehrenamtliche Helfer bei, so dass aus Fachwissen, Erfahrung und jede Menge Idealismus der Naturgarten entstand, der heute allen Bürgern offen steht. Auf 600 qm wachsen hier einheimische Wildblumen und Blühstauden, eine Wildrosenhecke und Sträucher.
Naturgärten sind Wildbienenparadiese
Cornelia Weiß ist Lehrerin an der Drachenfelsschule und betreut die Arbeitsgruppe Naturgarten. Anfang Februar lud Frau Weiß mich ein, mir das Drachenparadies näher anzuschauen.
Kaum angekommen, vereinnahmen mich die Schüler. Dass ich mithelfen würde, war selbstverständlich; schnell bin ich von den Kindern integriert. Ich lerne Urban Kurscheid kennen, auf Naturgärten spezialisierter Gartenbauingenieur aus Rauschendorf, der die Garten-AG nicht nur heute unterstützt.
Wie attraktiv unsere heimische Blütenvielfalt für Wildbienen ist, erfahre ich am Wildbienenstand. Er ist Infotafel und Insektenhotel gleichermaßen. Auf gut zwei Quadratmetern besonnter Fläche liefern gelochte Ziegelsteine und Holzstücke, Aststücke und Strohhalmbündel jede Menge Nistmöglichkeiten für Wildbienen. Einige der Niströhren sind noch von der letzten Sommerbrut mit Lehmpfropfen verschlossen. Ganz einfach kann sich hier jeder die Bauanleitung für ein heimisches Insektenhotel abschauen.
Naturgarten, zum Nachmachen empfohlen
Damit sich Wildbienen im eigenen Garten ansiedeln, braucht es nicht viel. Platz dafür findet sich in einer sonst ungenutzten Ecke des Hausgartens. Auf welche Pflanzen heimische Insekten fliegen, erklärt Cornelia Weiß: „Jetzt im Februar blüht schon die Korsische Nieswurz. Ihre etwa kniehohen Büsche bieten einen schönen Hintergrund für andere Frühblüher, wie die gelben Schlüsselblumen, Krokusse und Wildtulpen. Unsere Schüler mögen die rosafarbene Küchenschelle gern, die im April blüht. So geht es das ganze Jahr weiter. Nachtkerze, Königskerze, Färberkamille, Wiesensalbei, Kornrade, rote Lichtnelke, Thüringische Strauchpappel, Zaunrübe und viele andere heimische Blühpflanzen liefern eine abwechslungsreiche Kulisse für Insekten, aber auch für das menschliche Auge. Auch die Vogelwelt profitiert von unserem Naturgarten. Im Herbst zum Beispiel nascht der Stieglitz von den Samen der Disteln. Dieser farbenfrohe Vogel macht sich auch in Königswinter inzwischen rar, aber wir sehen ihn jedes Jahr in unserem Drachenparadies.“
Drachenparadies ist Bienenparadies
Wenn von Bienen die Rede ist, denke ich zuerst an Honigbienen. Sie zu erkennen, fällt mir leicht. Wildbienen dagegen haben nicht nur ein vielfältiges Aussehen, sie stellen auch ganz eigene Anforderungen an ihr Zuhause, lerne ich. „Honigbienen sind wenig wählerisch, sie sind die Generalisten. Wir finden sie an vielen Blüten. Die Wildbienen dagegen sind die Spezialisten. An ihren Namen erkennt man oft, was sie mögen und wo sie zu finden sind.“ erklärt Frau Weiß, „Sandbienen findet man in sandigen Gruben, die Zaunrübenbiene zieht ihre Brut mit den Pollen der Zaunrübe groß. Wo ein Garten passende Bedingungen aufweist, ziehen bald Wildbienen ein.“
Lernen mit Erfolgserlebnis im Drachenparadies
Im Team reparierten wir den Windschutzzaun an der Sitzecke im Garten mit frischen Weidenruten, die die Kinder unter fachkundiger Anleitung von Herrn Kurscheid zuvor geschnitten hatten. Fast wäre ich dabei auf eine sich gerade in der Wiese entfaltende Schlüsselblume getreten. Ich bin überrascht, mit welchen geübten Augen die Kinder eine große Zahl noch unscheinbarer Blattrosetten in der Wiese entdecken, die in wenigen Wochen ihre hübschen Glockenköpfchen in die Luft recken werden. Die Pflege des Naturgartens ist freiwilliger Zusatzunterricht, der ganz offensichtlich mit einem hohen Spaßfaktor verknüpft ist. „Die Kinder erleben hier im Laufe des Jahres die Wirkung ihrer Arbeit. Sie erfahren, dass sich Kümmern lohnt. Das ist für viele ein nicht alltägliches, aber umso wertvolleres Erfolgserlebnis“, erklärt Urban Kurscheid. Auch ich lerne während der Arbeit und bekomme von Schülern und Betreuern gute Tipps für meine eigene Naturgartenecke.
Wer mithilft, kann Saatgut mit nach Hause nehmen
Mir hat der Nachmittag viel Spaß gemacht, trotz der windigen Februarkälte. Ich werde bestimmt wiederkommen, denn die Gartentermine sind öffentlich. Es sind aber nicht nur gute Tipps, die ich mit nach Hause nehme. Denn zum Abschied drückt mir Frau Weiß ein paar Samentütchen in die Hand, von den Schülern aus alten Arbeitsblättern selbst gebastelt und mit Saatgut aus dem Drachenparadies gefüllt. Auch eine kleine Nieswurz sowie eine Färberkamille darf ich mitnehmen. „Wir freuen uns immer über Interessierte. Wer uns ein wenig hilft, dem geben wir gerne Saatgut und ein paar Pflänzchen mit, damit das eigene Wildbienen- und Naturgartenparadies gelingt.“
Drei Fragen an: Cornelia Weiß und Urban Kurscheid
Wie legt man eine Naturgartenecke an?
Urban Kurscheid: „Eine Naturgartenecke kann man an jedem sonnigen Plätzchen im Garten anlegen. Insekten mögen schlammige Pfützen. Eine flache Schale mit Wasser und einer Handvoll feinem Lehm reicht dazu. Als Kletterhilfe steckt man ein paar dünne Hölzchen hinein. Ziemlich schnell fliegen Insekten diese künstliche Schlammpfütze an, und sammeln den feuchten Lehm für ihre Kinderstuben.
Wer noch irgendwo alte Muscheln hat, kann daraus einen Bergsee für Insekten bauen: Die Muscheln in eine flache Schale legen und Wasser darüber gießen, so dass sie nicht ganz bedeckt sind. Auf den „Bergspitzen“ können Insekten bequem landen und sicher von dem Mineralwasser trinken. Beim Gießen werden Schlammpfütze und Bergsee immer wieder aufgefüllt.
Aber auch ein Haufen Steine ist eine gute Sache, denn in den Ritzen nisten viele Insektenarten gerne. Wilde Bienen dagegen mögen sandige Erde, in die sie ihre Wohngänge graben.“
Welche Pflanzen passen gut hinein und sind pflegeleicht?
Cornelia Weiß: „Das ist vor allem eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wildblumen sind eher anspruchslos, karge Flächen sind ihnen lieber als fetter Gartenboden. Viele im Handel erhältliche sogenannte Naturgarten-Mischungen enthalten viele nicht bei uns heimische Arten, die von Wildbienen verschmäht werden. Aber wir können abhelfen, denn bei uns bekommt jeder Jungpflanzen oder Saatgut heimischer Arten für ganz kleines Geld. Zu dem Saatgut geben wir die passenden Tipps für Standort und Pflege, damit die Naturgartenecke sich prächtig entwickelt. Wir freuen uns riesig, wenn wir mit unseren Pflanzen dazu beitragen können, in privaten Gärten kleine Insektenparadiese entstehen zu lassen.“
Was passiert in einer solchen Naturgartenecke übers Jahr?
Urban Kurscheid: „Ganz viel, man muss nur hinschauen. Im Drachenparadies lassen wir die abgeblühten Samenstängel über den Winter bis ins Frühjahr hinein stehen. Denn die Samenstände bieten Vögeln und Insekten Nahrung, in den hohlen Stängeln und Blattachseln finden Insekten Unterschlupf. Im Frühjahr werden Krokusse gern von allen Bienenarten angeflogen. Auf Schneeglöcken oder Narzissen ist längst nicht so viel Leben. Auch früh blühende Sträucher sind voller Insekten, sobald sich ihre Blüten öffnen. Ein bisschen später legen dann die krautigen Pflanzen los. Veilchen ziehen viele Käferarten an, auf Brennnesseln finden wir die wunderschönen Schwalbenschwanz-Schmetterlinge. Doldenblütler sind voll von verschiedenen Fliegenarten. Es geht im Naturgarten nicht nur um Bienen und Schmetterlinge. Für den Garten sind alle Insektenarten wichtig, auch die weniger schönen. Sie alle zusammen sorgen dafür, dass unsere Obstbäume bestäubt und wir eine sichere Ernte haben werden.“
Lust aufs Mitmachen bekommen?
Wer sich im Naturgarten der Drachenfelsschule Anregungen für das eigene Wildbienenparadies holen möchte, ist jederzeit willkommen. Infos gibt es bei Frau Cornelia Weiß, Kontakt über cornelia.weiss@koenigswinter-schule.de bzw. 02223 / 90 80 86 (Sekretariat) oder bei Urban Kurscheid, www.urbane-gaerten.de
Das Drachenparadies lebt von ehrenamtlichem Engagement und professioneller Unterstützung. Der ehrenamtliche „Freundeskreis Drachenparadies“ freut sich immer (!) über Unterstützung bei den von Frühling bis Herbst stattfindenden Gartenpflegeterminen. Kommen Sie einfach vorbei, Helfer aller Altersgruppen (auch Familien) sind herzlich willkommen! Sie finden in den warmen Monaten jeden Mittwoch von 13:30 bis 15 Uhr statt. Als Dankeschön für die Unterstützung beim Unkraut jäten und Beete pflegen gibt es Blumensamen oder Jungpflanzen für den eigenen Garten.
Als Spezialisten für naturnahe Gartengestaltung sind die Firma „urbane Gärten“ (www.urbaneGaerten.de) und der Naturgarten e.V. mit Rat und Tat regelmäßig mit an Bord.
Ein Paradies auch für Königswinterer Bürger
Erfahrung und Fachwissen rund um das Thema „Naturgarten“ teilen die Drachenparadies-Verantwortlichen übrigens auch in Vorträgen und Workshops, die teilweise in Zusammenarbeit mit der VHS Siebengebirge angeboten werden. Zum Beispiel am 9. Mai mit dem Vortrag „Pflanzen und deren Pflege im Drachenparadies“.
In der Stadt Königswinter ist der Naturgarten Drachenparadies in das Programm Lokale Agenda 21 eingebettet. Dieses Programm wird von einem gemeinnützigen Förderverein getragen, der das Ziel verfolgt, nachfolgenden Generationen die Erde als gesunden Lebensraum zu erhalten. Aus dieser Absicht sind verschiedene Arbeitsgruppen entstanden, in denen Bürger auf die vielfältigen Aspekte dieses Ziels hinarbeiten.
Rita Seidel, Königswinter
Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Digitalisierung, in der Freizeit am liebsten im eigenen Garten und in Bewegung. Ich habe viel übrig für Fridays for Future und suche nach Lösungen für das Klimadesaster, die wirkungsvoll und praktikabel sind. Ich will dazu beitragen, uns und nachfolgenden Generationen die Lebensbasis zu sichern. Denn wir haben nur eine Erde. Und jede Menge Gründe, sie zu erhalten.
Fotos: Drachenparadies/privat, Bernhard Glüer (1), Pixabay (1)